Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Achim, von den Anfängen bis zur Vernichtung.

Schule nach Jüdin benannt, die mit 17 ihr Leben verlor

Große Kulisse für den neuen Namen der Achimer Hauptschule.
Große Kulisse für den neuen Namen der Achimer Hauptschule. © Brodt

Achim – Von Manfred Brodt. Seit gestern gibt es die „Hauptschule Achim“ nicht mehr, sondern nur noch die „Liesel-Anspacher-Schule“. In einer originellen und bewegenden Zeremonie am Vormittag wurde die Schule nach der 1941 von den Nazis aus Achim nach Bremen und Minsk verschleppten und dort umgekommenen 17-jährigen Achimerin benannt.

Am Morgen des gestrigen Freitags war den Schülern noch einmal kurz das viel zu kurze Leben des Mädchens geschildert worden, um sie dann in drei Gruppen zu Stätten von Liesels Leben, ihrem Elternhaus an der Eckstraße, der Spielstätte Apfelwiese am Schmiedeberg, der Marktschule und dem Bahnhof, dem Abfahrtsort zum Vernichtungslager, gehen und dort Blumen und laminierte Karten hinlegen zu lassen. Auf dem Bibliotheksplatz trafen sich die 250 Pennäler dann wieder mit den Flaggen von 26 Ländern, die als Familien-Herkunftsländer alle an der Schule vertreten sind. Zum Abschluss der Zeremonie um 12.30 Uhr dann auch noch ein Telefongespräch über Skype mit James Schulz aus New York, einem noch lebenden Verwandten der Bremer Anspachers, bevor dann die neue Namenstafel der Schule enthüllt wurde.

Edith Bielefeld hatte zuvor den Schülern das Leben der jungen Jüdin eindringlich nahe gebracht, die wie alle Juden 1935 durch die Nürnberger Gesetze ihre Menschenrechte verlor, 1936 auf Antrag des Achimer Gemeinderats beim Landrat wie andere Glaubensbrüder und -schwestern keinen Religionsunterricht mehr erhielt, 1937 das Berufsverbot für ihren Vater als Schlachter und Pferdehändler, 1938 die Verwüstung der Achimer Synagoge erlebte und 1941 mit dem zu tragenden Judenstern gedemütigt wurde, bevor sie wie alle Achimer Juden in Todeszüge gepfercht wurde. Sie kam nach Minsk in ein Lager, in dem ihr 1,5 Quadratmeter und bei 41 Grad minus keine Heizung und kein Strom geboten wurden. Bevor sich ihre Lebensspur verliert, hatte sie Räume des Zwangslagers zu säubern. Alle Achimer Juden, die nicht rechtzeitig emigriert waren, wurden ermordet bis auf ihren Cousin, den aus dem KZ geflohenen Kurt Anspacher/Parker, der inzwischen in den USA eines natürlichen Todes gestorben ist.

Marina Jalowaja, Sprecherin des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen, lobte, dass hier in Achim die unbeschreiblichen Grausamkeiten und die Opfer nicht vergessen würden, sondern einen Namen und ein Gesicht bekämen. Respekt gegenüber anderen Nationen, Kulturen und Religionen sei die ausgesendete Botschaft und die Bekämpfung aller neonazistischen Symptome der bleibende Auftrag.

Für Bürgermeister Rainer Ditzfeld bekommt die schon vorbildliche Achimer Hauptschule durch ihren neuen Namen einen neuen gesellschaftlichen Stellenwert. Der Name verpflichte, dass solche Verbrechen nie mehr geschehen, Respekt, Rücksicht und verantwortungsvolles Handeln gegenüber allen Menschen unabhängig von Geschlecht, Nationalität, Hautfarbe und Religion Erziehungsziel sein solle.

Ein Film über das Elend in der Welt mit 51 Millionen Flüchtlingen im Jahr verdeutlichte, welchen Menschen heute Erbarmen, Zuwendung, Hilfe und ganz bestimmt nicht Wegschauen und Gleichgültigkeit entgegengebracht werden sollten.

Das Skype-Gespräch zwischen James Schulz aus New York und dem sehr engagierten Schulleiter Dominik Lerdon zu 6.30 Uhr US-Ortszeit brachte dann den letzten emotionalen Höhepunkt. Dem Wunsch des Juden in den USA, der bald die ihm zugetanen Achimer Hauptschüler besuchen will, konnten alle folgen: „So etwas“ – wie in der Vergangenheit – „soll nie mehr passieren.“

 

Gegen das Vergessen: IGS Achim erinnert an das Schicksal von Liesel Anspacher

Am Gedenkstein vor der IGS Achim gedachten Schüler, Lehrer und Gäste Liesel Anspacher, deren Spur sich im Ghetto in Minsk verliert, anlässlich ihres 100. Geburtstags.
Am Gedenkstein vor der IGS Achim gedachten Schüler, Lehrer und Gäste Liesel Anspacher, deren Spur sich im Ghetto in Minsk verliert und die am Sonntag 100 Jahre alt geworden wäre. © Leipold

Schüler und Lehrer der IGS Achim erinnern zusammen mit Gästen an das Schicksal von Liesel Anspacher, die am Sonntag 100 Jahre alt geworden wäre.

Achim – Erinnern, aufklären und laut sein, damit Geschichte sich nicht wiederholt: Diese Haltung zog sich als roter Faden durch die Gedenkveranstaltung an Liesel Anspacher an der Integrierten Gesamtschule Achim. 100 Jahre alt wäre sie am 7. April geworden. Doch als sie gerade 17 Jahre alt war, verlor sich ihre Spur im Ghetto in Minsk. Dorthin wurde sie am 17. November 1941 mit ihrer Familie deportiert und vermutlich ermordet.

„Die Sonne scheint heute für Liesel“, sagte IGS-Schulleiterin Kerstin Albes-Bielenberg. Sie stand neben dem Findling, der seit 2022 an die ehemalige Achimer Schülerin vor dem Schulgebäude erinnert. Rund sechs Millionen jüdische Menschen sind während des Holocausts ermordet worden.

Die Sonne scheint heute für Liesel.

Kerstin Albes-Bielenberg

„Wir beobachten auch heute die Versuche, die Verbrechen der Nationalsozialisten zu relativieren.“ Rechte Parteien im Ausland erhielten immer mehr Zulauf, und auch in Deutschland liege der Wähleranteil bei mehr als 20 Prozent in Brandenburg, Thüringen und Sachsen. „All das ist höchst alarmierend, wir müssen unsere Demokratie schützen.“

Das gelingt nur, in dem Schicksale wie die der Familie Anspacher nicht in Vergessenheit geraten, finden die Schüler und Schülerinnen, die sich während Projekttagen mit dem Nationalsozialismus und der Biografie von Liesel Anspacher auseinandergesetzt haben. Ihre Ergebnisse haben sie beispielhaft während der Gedenkveranstaltung, modertiert von Hendrik Hoffmeister, Fachbereichsleiter Gesellschaftswissenschaft, in der Aula der IGS gezeigt. Außerdem hat der elfte Jahrgang die Gruppen dessiebten und achten Jahrgangs bei der Erstellung von Lernvideos zum Schicksal der Familie Anspacher unterstützt. Für dieses Engagement bedankte sich Achims Bürgermeister Rainer Ditzfeld bei den Jugendlichen.

Hendrik Hoffmeister moderierte die Gedenkveranstaltung.
Hendrik Hoffmeister moderierte die Gedenkveranstaltung. © Leipold

In einem Hörspiel hat sich der Förderkurs „Radio“, betreut von Lehrerin Heike Jeske und Wolfgang Mindermann, mit ihrem kurzen Leben und dem der Achimer Juden und Jüdinnen befasst. In Videos beschäftigten sich die Jahrgänge fünf und sechs damit, wie es sich anfühlt, ausgegrenzt zu werden – von Lehrkräften, Eltern und Mitschülern. Liesel durfte ab dem 12. November 1938 nicht mehr zur Schule gehen, das Dokument, in dem die Lehrerin ihren Namen aus dem Klassenbuch herausgestrichen hat, existiert bis heute. Sie sei wegen ihres Glaubens ausgeschlossen und getötet worden, erklären die Schüler.

Wie radikal die Stadt Achim während der Herrschaft der Nationalsozialisten war, erklärten Anastasia aus der neunten Klasse und Lilly aus der zehnten Klasse. Unterstützt wurden sie und die anderen Schülerinnen und Schüler der beiden Jahrgänge bei der Recherche von Lehrer Maximilian Arens und Manfred Brodt, Vorsitzender der Geschichtswerkstatt Achim. „Die Partei baute schnell eine starke Präsenz in der Stadt auf“, erklärten sie und zeigten, wie tief verwurzelt der Judenhass war. „Zu damaligen Zeiten war Achim sehr offen für die nationalsozialistische Ideologie“, betonten sie, denn kurz nach Kriegsende habe die Stadt erfolgreich ihre Beteiligung vergessen. „Wir müssen uns der Vergangenheit bewusst sein, um sicherzustellen, dass sich diese Ereignisse nicht wiederholen.“ Die Erinnerung wird die Schule weiterhin jedes Jahr mit einem Gedenktag wach halten. Das entstandene Material werde gesichert, um, wie Albes-Bielenberg schloss, „weiter an diese schöne Familie mit dem schrecklichen Ende zu erinnern“.